Können Rollenmodelle dabei helfen, mehr Jugendliche aus niedrigen sozio-ökonomischen Verhältnissen für ein Studium zu motivieren? Im Rahmen eines Gastaufenthalts und einer LIfBi Lecture Anfang November stellte Prof. Dr. David Reimer von der Universität Island zwei Studien aus Dänemark vor, die diesen Ansatz experimentell verfolgen und vielversprechende Ergebnisse liefern.
Bereits im EU-geförderten Projekt LIFETRACK hat David Reimer, damals noch an der Universität Aarhus, mit Wissenschaftler:innen des LIfBi zusammengearbeitet und ländervergleichend untersucht, wie unterschiedliche institutionelle Arrangements in sekundären Bildungssystemen die Entstehung sozialer Ungleichheit über den Lebensverlauf hinweg beeinflussen. Reimers besonderes Interesse gilt der Frage, wie soziale, geschlechtsspezifische oder ethnische Ungleichheiten durch unterschiedliche institutionelle Regelungen in Europa und darüber hinaus beeinflusst werden und wie sie am besten verringert werden können.
Cold vs. hot knowledge
Anhand von zwei aktuellen Feldstudien aus Dänemark zeigte Reimer, dass nicht nur Informationsdefizite, sondern auch emotionale und soziale Barrieren Jugendliche aus niedrigeren sozio-ökonomischen Schichten von einem Studium abhalten können. In der ersten Studie wurden die Auswirkungen einer kombinierten Informations- und Rollenmodell-Intervention getestet: Die Schüler:innen erhielten zum einen statistische Informationen zu den Outcomes des Hochschulbesuchs („cold knowledge“) und sahen zum anderen Video-Erfahrungsberichte echter Studierender, die emotionale und psychologische Aspekte wie Ängste oder soziale Vorbehalte thematisierten („hot knowledge“). Diese Intervention führte bei Schüler:innen aus niedrigeren sozio-ökonomischen Verhältnissen zu einem signifikanten Anstieg der Erwartungen an ein Hochschulstudium und der Bewerbungen im zentralen Zulassungssystem. Die Folgestudie bestand aus einer ähnlichen, aber komplexeren Intervention. Auch hier deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Videos mit den Rollenmodellen wirksamer zur Verringerung der Ungleichheit beim Zugang zur Hochschulbildung beitragen als statistische Informationen allein.
Länderübergreifende Forschung
Im zweiten Teil seines Vortrags stellte Reimer das neu gestartete, mit einem ERC Consolidator Grant geförderte Projekt EDUCHANGE (www.educhange.hi.is) vor, das auf seinen bisherigen Forschungsergebnissen aufbaut. Das Projekt testet länderübergreifend, wie wirksam ähnliche Strategien zur Verringerung der Ungleichheit an den Übergängen zur Sekundarstufe II und zur Hochschulbildung in unterschiedlichen Kontexten sind. Verglichen werden dabei Deutschland, Ungarn, Dänemark und Island.
Gastaufenthalt in Bamberg
In der sich an die LIfBi Lecture anschließenden Fragerunde diskutierten die Zuhörenden mit dem Referenten angeregt über die Methodik und die Möglichkeiten, die vorgestellten Feldexperimente um weitere Aspekte zu ergänzen. Während seines insgesamt dreitägigen Gastaufenthalts in Bamberg stand David Reimer zudem für individuelle Sprechstunden und den fachlichen Austausch zur Verfügung. Das Angebot wurde von LIfBi-Forschenden rege angenommen. Wissenschaftler:innen verschiedener Arbeitsbereiche nutzten die Gelegenheit, um über geplante Forschungsprojekte zu sprechen, spezifische NEPS-Fragebogeninhalte und mögliche Optimierungen zukünftiger Erhebungen zu diskutieren oder sich zu Themen wie Experimentaldesign und Kausalanalyse auszutauschen.
David Reimer im Reasearch Portal der Universität Island